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Bericht Zum Thema Pferdeflüsterer · Gesamttext
Inhaltsverzeichnis Ausgabe 234.03 der Pferdezeitung vom 21.09.03
 Menü Hauptartikel 234
 Doma India 
 Der Marktvorreiter - ...  Der Mann  "Corral" und "Manga"
 Zwischengedanken  Der Täter als ...  Erster Kontakt  Autisten und Wildpferde  Leserresonanz
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Martín Ochodeco: Freies Polo
©   Norbert Balk, Argentinien

    Doma India   
    "Das Zähmen geschieht zweifelsohne aus Liebe."   
von   Norbert Balk, Argentinien



"Das Zähmen geschieht zweifelsohne aus Liebe."
"Domar es un acto de amor, sin ninguna duda."
Oscar Scarpati Schmid

Im Frühjahr 2000 eine Zeitungsnotiz: Ein Mann aus der Nähe von Merlo in San Luis, einem argentinischen Provinzstädtchen ca. 800km westlich von Buenos Aires: Ein anderer Umgang mit Pferden in der Tradition der Pampaindianer.

Im Jahr darauf eine Ankündigung: Ende Juli 2001, Demonstration der "Doma India" (indianisches Zähmen) auf der landwirtschaftlichen Ausstellung "La Rural", mitten in Buenos Aires. Was ich dort zu sehen bekomme, beeindruckt mich.

Martín Ochodeco, ein Schüler von Oscar Scarpati Schmid, zeigt ein etwa dreijähriges "Allerweltspferd" nach nur 17-tägiger Zähmungsarbeit: Es lässt sich frei reiten - Martín jagt mit schwingendem Schläger einer Polokugel nach - und springt frei mit Reiter über ein Hindernis von zwei aufeinandergelegten Strohballen, wenn es durch eine Gasse von Strohballen auf das Hindernis hingeleitet wird. (Das Foto? Es geht leider viel zu schnell ...)

Dann im Dezember 2001 eine Gelegenheit: Ein zweitägiger Kurs mit "Oscar". Die Kurskosten mit $200,- Pesos nicht gerade wenig. (Zum Kurszeitpunkt - 8./9. Dezember - ist der Peso noch gesetzlich an den US-Dollar 1:1 angekoppelt.)

Als Berichterstatter darf ich mich aber "einfach so dazugesellen". (Herzlichen Dank an alle interessierten Leser!)

Das Kursgeld sei allerdings eher als eine Art "allgemeines Eintrittsgeld" zu verstehen, erfahre ich von Teilnehmern eines früheren Kurses: Sei man mal bei einer Veranstaltung dabeigewesen, gehöre man dazu und kann sich bei allen weiteren ebenfalls "einfach so dazugesellen". Bin gespannt!

Natürlich, wir sind ja in Argentinien: Wieder einmal viel zu pünktlich! Das angesteuerte landwirtschaftliche Anwesen, westlich von La Plata und südlich von Buenos Aires gelegen, verrät zunächst nichts von dem, was dort heute stattfinden soll.

Am Tor kommt uns - mein siebenjähriger Sohn Jonas begleitet mich - ein Bediensteter ("peón") entgegen, der uns zumindest bestätigen kann, dass wir am richtigen Ort gelandet sind. (Das ist doch schon mal was nach zweistündiger Fahrt!) Aber sonst sei noch kein Mensch da.

Wir nutzen die Gelegenheit, die drei Jungpferde ("potros"), die zusammen mit einem schon ausgebildeten Pferd ("caballo") in einem Pferch untergebracht sind, in Augenschein zu nehmen: Die ungezähmten mit ungeschorener Mähne und langem Schweif, der andere mit Bürstenschnitt ("tusado") und gestutztem Schweif als Zeichen der erfolgten Zähmung.

Als wir uns dem Zaun nähern und uns einige Hunde aus einem nahegelegenen Wohnhaus bellend "empfangen", suchen die Pferde die Umzäunung mit den Nasen am Boden, schnaubend-schnorchelnd und scharrend, nach einem Fluchtweg ab.

Die anderen Teilnehmer werden erst ein bis eineinhalb Stunden nach uns eintreffen: Zeit, meinem Sohn einige Seiten "Harry Potter" vorzulesen - und hier etwas abzuschweifen ...



Der Marktvorreiter - Martín Hardoy


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Martín Ochodeco, Schüler Oscars, zeigt, wie sehr er seinem Pferd vertraut.
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Vertrauens-Sandwich
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Mensch und Pferd, was braucht es mehr?
Man muss ihn einfach erwähnen: Martín Hardoy. Ihm kommt sicherlich das Verdienst zu, solche Veranstaltungen überhaupt ermöglicht zu haben. Er hat als erster einen Markt erschlossen, den es vor ihm in Argentinien schlicht nicht gab!

Kein argentinischer Pferdezähmer käme von sich auf den Gedanken, seine Methoden preiszugeben und sich in die Karten schauen zu lassen. Insofern hat Martín auch ein Tabu gebrochen, als er mit seiner sogenannten rational-zweckmäßigen und gewaltfreien Pferdezähmung ("Doma Racional - y sin violencia") an die Öffentlichkeit ging.

Seine Methode ist ein Konglomerat aus Techniken verschiedenen Ursprungs: europäisch-klassischen sowie aus der Western- und der Gauchotradition. Er leistet Überzeugungsarbeit an der Basis und will allgemein übliche, aber unnötige Brutalitäten und Härten im Zähmungsgeschäft durch effektivere Techniken ersetzen helfen.

Aus dieser vermittelnden Position erklärt sich auch die Zwitterstellung von Hardoy und die Bemerkung des Berichterstatters im "GEOspecial Argentinien" vom Juni 1994, wo Martín erstmals in Deutschland als "Der Hexer" ("el brujo") vorgestellt wurde: "Sein 'gewaltloses Zureiten' begann gewaltsam".

Dazu das Foto eines Pferdes am Anbindepfosten ("palenque"), das es in sich hat! Traditionell ist dies lediglich der Auftakt einer ganzen Reihe weiterer, ziemlich unschöner Dinge: "domar" heißt für den Gaucho "Grenzen setzen" und der Gaucho setzt sie hart! Er vermittelt von Anfang an die Botschaft: Du kannst kämpfen, wie du willst, eine Chance hast du nicht!

Martín bevorzugt jedoch inzwischen auch, wo immer vorhanden, die viel praktischere Viehschleuse ("manga") für den Erstkontakt! (Siehe seine Präsentation unter www.martinhardoy.com.ar und das Kurzporträt auf den Seiten von » www.justacriollo.com)

Selbst unter gebildeten Argentiniern melden sich Stimmen zu Wort, die dem Verlust der riskanteren, traditionellen Zähmung eine Abschiedsträne nachzuweinen scheinen - kann sich doch ein Gaucho vor allem hier als wahrer Gaucho beweisen.

Mariano Grondona, Hochschullehrer und politischer Journalist mit enormer Medienpräsenz in Argentinien, fügt sich mit seinem nostalgischen Rückblick auf die traditionelle Gauchokultur - eine Erinnerung, wie er als Junge einem Landmann ("paisano") namens Zunino bei einer traditionellen Zähmung auf offenem Land zusah - ins historisch Unvermeidliche: "Bevor die 'doma racional' die traditionelle (doma) gänzlich ersetzt, sehen wir sie uns nochmal an." ("Antes que la doma racional reemplace completamente a la tradicional mirémosla una vez más.")

Statt ausgefeilter Methodologien ("procesos elaborados") seien dabei Geschicklichkeit ("destreza") und Mut ("coraje") angesagt! Da muss einer also schlicht seinen ganzen Mann stehen. (Erschienen unter der Überschrift: Recuerdos al lomo de un bagual in der Rubrik "Rincón gaucho" der LA NACIÓN; sábado 6 de enero 2001, sección 5, página 6.)

Die Frage musste also kommen: Auf der Präsentation im Juli hält ein Journalist Oscar sein Mikrofon hin: Wie er sein Verhältnis zu Martíns Vorgehensweise denn sehe.

Seine Antwort zeigt Selbstbewusstsein: Beide Methoden versuchten die Gewalt der "doma tradicional" zu vermeiden, doch sei die "doma india" eben kein Methodensammelsurium ("compilación de métodos") verschiedenster Herkunft, sondern die einzige, wahrhaft argentinische Methode ("el único método autenticamente argentino")!


Der Mann


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Oscar Scarpati Schmid, Foto Jonas Balk
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Oscar mit seinem Pferd während der Demonstrationsverstaltung.
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Die ungezähmten Jungpferde im Pferch.
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Oscar mit seinem Söhnchen, bei sich zuhause in San Luis © Santiago Sajaroff
"Halb Mensch, halb Pferd"
("Soy mitad hombre, mitad caballo")


Wenn Pat Parelli in seinem Buch "Natural Horsemanship" auf Seite 18 schreibt, er sei in seinem ganzen Leben nur sechs Natural-Horse-Men begegnet - und obendrein freimütig bekennt, dass er sich selbst noch nicht einmal dazurechnet - diesen Mann würde er wohl doch in den illustren Kreis der Auserwählten aufnehmen.

Oscar Scarpati Schmid über sich:

  • Ich bin halb Mensch, halb Pferd.
    Soy mitad hombre, mitad caballo.
  • Mein Leben sind die Pferde.
    Mi vida es el caballo.
  • Ich bin ein Wilder.
    Soy un salvaje.
  • Ich lebe so, wie ich leben will. Jeder wählt sich sein Schicksal selbst.
    Vivo como quiero vivir. Cada uno elige su destino.
  • Ich bin der, der ich bin.
    Soy quien soy.
  • Ich bin glücklich.
    Soy feliz.

Diese Bekenntnisse hören wir von einem Mann, der durch das Pferd in schicksalhaft-konkreter Weise zu sich und später auch zu den Menschen fand. Deshalb sagt er prägnant zu seinen "Schülern": "Uns eint das Pferd; meine Beziehung zu Euch geht übers Pferd." ("Nos reune el caballo. Mi relación con ustedes es a través del caballo.")

Als Kind schüchtern und in sich gekehrt, zähmt er mit acht Jahren sein erstes Jungpferd aus eigenem, innerem Antrieb. Das Pferd, das nicht ihm gehört, folgt ihm einige Tage später bis zu sich nach Hause. In dieser instinktiven Kontaktnahme mit dem Pferd entdeckt er seine natürliche Befähigung, einen tiefen Bezug herzustellen.

Er schildert, wie er als Junge immer nur "ohne alles" geritten sei und immer wieder erstaunt das Erstaunen der Erwachsenen darüber zur Kenntnis nahm. Später erhielt er immer öfter Einladungen zu Festveranstaltungen, wodurch er allmählich den Weg aus seiner "Pferdeeinsamkeit" zu den Menschen fand.

Don Cristóbal Luna, ein Indianer aus der Pampa vom Stamme der als sehr kriegerisch bekannten Araukaner, ist die erzieherische Gestalt im Leben Oscars. Er spricht in liebevoller Verehrung von seinem väterlichen Freund. (Sein ältester Sohn trägt dessen Namen.)

Bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr überlieferte Don Cristóbal ihm mündlich Lebensphilosophie, Heilmittel, Gesänge, Bittrituale sowie die Geheimnisse der Pferdezähmung der Pampaindianer. Geboren in "Lagunas del Bagual" im Süden der Provinz San Luis, starb Don Cristóbal 1968 mehr als hundertjährig.

Er arbeitete Zeit seines Lebens auf vielen Landgütern ("Estancias") der Provinz, die meiste Zeit lebte er aber auf der Estancia "La Posta de San José del Morro". Er verrichtete dort alle anfallenden Arbeiten: Zäune ziehen, Lehmbehausungen errichten, Wanderherden führen, Geschirre und Werkzeuge aus Rohleder flechten, Pferde zähmen, ausbilden und Problempferde umerziehen.

Oscar lebt mit seiner Frau und einem eineinhalbjährigen Sohn am Rande der "Sierras" von San Luis, mit 200.000 ha offenem Land hinter seinem Haus (ohne elektrischen Strom). Dort beobachtet der Mittfünziger nun seit 18 Jahren intensiv eine Herde wild lebender Pferde.

Seinen Lebensunterhalt verdient er sich als Pferdezähmer ("domador"). Zur Zeit gibt er etwa vier Kurse im Jahr im indianischen Pferdezähmen (die andere für ihn organisieren), stellt die "Doma India" auf verschiedenen Veranstaltungen vor und führt auch hin und wieder Gruppen mit Wanderreitern.


"Corral" und "Manga"


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Es geht auch andersrum.
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Gelassene Vertrautheit.
Annäherung und Kontaktaufnahme

Die Gruppe nähert sich gemächlich dem Pferch. Die Gruppe? Da ist

  • Santiago, der Pferdeneuling, den eine Demonstration mit Oscar dermaßen beeindruckte, dass er sich kurzerhand ein eigenes Pferd kaufte - heute das zweite Mal dabei;
  • der Hobbypolospieler Alejandro, der sich einen verständnisvolleren Umgang mit seinen Pferden erhofft;
  • der Musiker Hernán, der mit seinen Großeltern einen Freizeitreitbetrieb betreibt;
  • Oscar, ein Bankfachmann mit seinen beiden Söhnen;
  • Magdalena, die Expertin für alternativen Tourismus, die Oscar als Führer für Wanderritte ihres Programms gewinnen will.
  • Und noch einige mehr.

Oscar bleibt immer wieder stehen und erläutert facettenreich die Grundsituation "Mensch und Pferd" aus Sicht des Pferdes.

Das macht er so eindringlich, dass man, auch wenn man darüber schon so manches gehört und gelesen haben mag, den dahinter stehenden Erfahrungsschatz spüren kann:

  • Der Mensch als der gefährlichste und gefürchtetste Jäger des Pferdes;
  • der aufrechte Jäger, der aus dem unerwarteten Hinterhalt einer engen Schlucht aufzutauchen versteht.
  • Der Mensch, der Unberechenbare:
  • Der als Jäger im wahrsten Sinne des Wortes "herausragt"!

Er macht seinen Zuhörern klar, dass unsere Art der achtsamen, offenen Annäherung schon Teil der Zähmung sei. Das ängstliche Fluchtverhalten der Pferdegruppe weicht immer öfter einem neugierigen Beäugen.

Interessant: Das zahme Pferd teilt augenscheinlich die Grundbefindlichkeit der anderen, schließt sich ihnen an. Im Gegenzug dämpft es wohl auch deren Reaktionen. Schließlich betreten wir alle den Pferch, ohne dass die Pferde panisch reagierten.


Zwischengedanken


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Was die Beiden wohl aushecken?
Ich will die entscheidende Ausgangslage noch etwas eingehender erörtern: Wie den ersten Kontakt arrangieren?

Da sind natürlich viele Möglichkeiten denkbar. Darauf, dass die Pferde "freiwillig" kommen, werden wohl die wenigsten warten wollen: Eine Beschränkung des Raumes wird also im Regelfall nötig sein.

Und selbst dann, glaubt man dem Zeugnis von Sinclair Browning, Mitautor des Buchs von John Lyons "Pferdetraining ohne Zwang" von 1999 (Original: Lyons on Horses, 1991, siehe auch Rezension  Lyons: Pferdetraining ohne Zwang), kann man ein wild aufgewachsenes Pferd kaum "anlocken". Ich zitiere:

Nun sollte ich erwähnen, dass ich vor einigen Jahren schon mit einem Wildpferd gearbeitet hatte. Ich hatte es auf die langwierige, freundliche Art probiert. Ich lockte es mit Äpfeln und Karotten und saß tagelang im Auslauf, bis sich das Pferd dazu entschloss, auch nur in meine Nähe zu kommen. Ich sprach mit ihm, sang ihm etwas vor, pfiff und bettelte und ich brauchte trotzdem Wochen, bis es nicht davonstob, wenn ich näher als 3 Meter herankam.
Lyons, Pferdetraining ohne Zwang, Seite 8

Dies bedeutet aber doch, dass das wilde Pferd sich niemals aus eigenem Antrieb einem Menschen nähern wird! Offensichtlich gibt es da eine Art "Durchbruch" zu bestehen!

Eine interessante Parallele findet sich übrigens bei Hunden: Die spontane Annäherung von Welpen, die mit minimalem menschlichen Kontakt aufwachsen, nimmt mit 7 Wochen erheblich mehr Zeit in Anspruch als mit 3 - 4 Wochen und ist mit 14 Wochen nahezu aussichtslos! (Urs Ochsenbein, Der neue Weg der Hundeausbildung, 5. Aufl. 1993, Seite 46f)

Wie also vorgehen?

John Lyons nutzt den Roundpen. Er erarbeitet sich allererste Kontrollmöglichkeiten über das Pferd - beruhend auf "Frage und Antwort" (Aktion und Reaktion) - ehe er es zum ersten Mal berührt.

Dabei sucht er die Motivation durch entsprechenden Nachdruck zu erlangen: "Wenn die Lungen des Pferdes schmerzen, wird sich seine Haltung verändern." (Pferdetraining ohne Zwang, Seite 36)

Auch die Methodik ("Join up") eines Monty Roberts ist verwandt. Interessant scheint mir in diesem Zusammenhang vor allem sein Universalprinzip des "advance and retreat" ("Vorstoß und Rückzug") - das in abgewandelter Form ja bei allen guten Pferdeleuten eine zentrale Rolle spielt -, welches seiner Erzählung zufolge schon die Cherokee-Indianer bei Jagd und Wildpferdefang anwandten. (Monty Roberts: Der mit den Pferden spricht, Seite 59f)

Sadko G. Solinski beschreibt in seinem "Gymnasium des Freizeitpferdes" (2. Aufl. 1996, Seite 39 - 41) das über Wochen gehende Annähern des Menschen in einem größeren Verband von Tieren.

Allerdings werden die Junghengste dort auch traditionell erst einmal mit Lassos an Korralbalken "angebunden"; eine Methode mit sehr hohem Verletzungsrisiko, die ja auch von den Gauchos praktiziert wird: "palenquear" wird das hierzulande genannt. (Wir haben das schon im Zusammenhang mit Martín Hardoy und dem Bericht im GEOspecial gehört.)

Sie hat m. E. einen deutlich "traumatisierenden Effekt", auf den Solinski auch kurz hinweist: " ...[wir] konnten ... kurz ein Seil über ihre Hälse werfen, wobei sie meistens - wohl der schlimmen Erfahrung mit dem Lasso im Korral wegen - an Ort und Stelle erstarrten." (Solinski, Gymnasium des Freizeitpferdes, Seite 40f)

Was folgt nun aus all dem?

Der Mensch wird die Begegnung wohl so gestalten müssen, dass das Pferd eine Notwendigkeit sieht, sich dem Kontakt zu stellen (als dem "kleineren Übel" ); und er wird sie so gestalten wollen, dass sie sich womöglich in ein positives Erlebnis wandelt.

Oscar stellt eben diese Forderung als ersten Grundsatz der "Doma India" auf: Der Mensch sollte sich als "Wohltäter" des Pferds erweisen: "Das indianische Zähmen beginnt damit, dass sich der Pferdezähmer in den Wohltäter des Pferdes zu verwandeln hat." ("El principio de la Doma India está en que el domador debe convertirse en benefactor del caballo.")

Doch wie lässt sich das erreichen?


Der Täter als Wohl-Täter


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Die Pferde werden in größtmöglicher Ruhe in die Viehschleuse gebracht.
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Oscar nähert sich dem "Potro" mit dem Rücken zuerst.
Die indianische Lösung war eigentlich denkbar einfach - auch wenn sie dem "vermenschlichenden" Empfinden zunächst "gemein" erscheinen mag: Wohltäter ist der, der die elementarsten Bedürfnisse befriedigt!

Das Pferd im Korral bekommt also Nahrung und Wasser ausschließlich aus der Hand seines "menschlichen Wohltäters"! Diese Motivation ist stark genug, die natürliche Barriere zu durchbrechen, ja eine Bindung herzustellen, die den Menschen dem Pferd in einem neuen Licht erscheinen lässt!

Zudem war das Zähmen für den Indianer immer eine ganz persönliche Angelegenheit: Er zähmte nur für sich selbst, nie für Dritte!

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine Bemerkung Horst Sterns in seinem Reitlehrbuchklassiker "So verdient man sich die Sporen" (18. aktualisierte Aufl. 1997). Er stellt da ernüchternd zur Pferde-Mensch-Beziehung fest:

Man muß sich schon sehr lange und sehr oft mit einem Pferd abgeben, wenn man Kontakte herstellen will, die über eine dumpfe Duldung des Menschen hinausgehen.
Stern, So verdient man sich die Sporen, Seite 30

Da geht er jedoch noch von der Situation des traditionellen Reitunterrichts aus.

Der Eingang zur "Manga" wird geöffnet. (Diese Viehschleusen werden dazu benutzt, Tiere zu behandeln oder zu impfen. Sie sind so eng, dass ein Rind oder ein Pferd darin nicht wenden kann. Die Seitenwände werden nach obenhin weiter, nach untenzu enger.)

Wir bewegen uns so, dass die Tiere in die Manga geleitet werden. Diese bleibt zunächst hinten offen: Oscar versperrt den Ausweg, er steht ruhig und entspannt, die Hände hinter dem Rücken.

Lediglich wenn die Unruhe unter den Pferden merklich anhebt oder das hinterste Pferd ihn nicht mehr im Auge behält, klatscht er kurz in die Hände und gibt tieftönende, beruhigende Laute von sich. Die Pferde gewöhnen sich erstaunlich schnell an diese neue Situation. Die Manga kann bald geschlossen werden. Die Pferde halten die Köpfe tief am Boden, als sich die Menschen nähern, und drängen sich dicht an den Vordermann. Sie sind auf der Hut, reagieren aber keineswegs panisch.

Oscar nähert sich dem ersten Jungpferd in der Reihe; es ist das jüngste von den Dreien, mit Araberblut. Oscar bemerkt, dass er hier unter etwas unnatürlichen Verhältnissen arbeite; zuhause würde er sich vor einer Erstannäherung mindestens drei Tage nicht waschen: Tier unter Tieren.


Erster Kontakt


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Das junge Pferd nach kurzem Kontakt.
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Oscar demonstriert das bereits erworbene Vertrauen und geht in die "manga".
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Flüster, flüster ...
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Halfter anlegen, kein Problem!
Jetzt kommt etwas Überraschendes, das jedoch sofort in seiner tieferen Logik einleuchtet: Oscar nimmt den Kontakt nicht frontal auf. Er vermeidet es zunächst, dem Pferd sein Gesicht zuzuwenden!

Horst Sterns Kommentar zur Reaktion des Tieres aufs menschliche Gesicht kommt mir dabei in den Sinn:

Allen Tieren ist das nackte menschliche Gesicht mit seiner großen Beweglichkeit meist ein Quell der Beunruhigung, ...
So verdient man sich die Sporen, Seite 33

Die Wirkung ist verblüffend und doch so klar: Das junge Tier lehnt sich sogleich instinktiv an Oscar an! Es biegt nach kürzester Zeit seinen Hals förmlich um Oscars Rücken herum, anstatt sich abzuwenden - was Oscar auch demonstriert, indem er sich kurz mal umdreht.

Es erlebt Oscar offenbar als eine Stütze in dieser neuen Situation. Es sucht selbst den Körperkontakt. Oscar reibt Schultergürtel und Hinterkopf wohlig am Hals des "Potro". Dies nimmt diese Freundschaftsgeste dankbar an. Ist das nicht eine gelungene Einlösung der obigen "Forderung"?

Diese spontane Zuwendung hat im weiteren Verlauf einen ganz entscheidenden Stellenwert: Fühlt sich das Pferd "bedroht", sucht es den Menschen bald als Schutz auf.

Oscar nimmt nun immer mehr eine seitliche Position ein, legt den Arm um dessen Hals und bringt den Kopf von der anderen Seite her ganz zu sich herüber. Dies ist schon der entscheidende erste Schritt für das spätere Halfteranlegen.

Oscar öffnet eine seitliche Tür und geht selbst in die Manga. Er bringt dem Jungpferd von Anfang an sein vollstes Vertrauen entgegen! Später wird er das so ausdrücken:

Was ich hier momentan erreichen will, das ist das Vertrauen des Pferdes. Und wie gewinne ich es? Indem ich es ihm entgegenbringe.
Yo lo que quiero lograr acá es la confianza del caballo. Pues, ¿cómo lo logro? Dándosela.

Gleichzeitig stellt dies sein Vertrauen auf eine echte Probe! Denn nur ein Hauch von Misstrauen und das junge Tier würde in helle Panik ausbrechen: "Es würde mich windelweich prügeln" ("me cocinaría a patadas") , stellt Oscar lapidar fest.

Der nächste Schritt: Halfteranlegen. Das selbstgeknüpfte Seilhalfter wirke auf das Pferd in seinen wellenartigen Bewegungen wie eine Schlange. Oscar macht das Pferd damit vertraut, lässt es vor ihm auf und abschlängeln, zieht es ihm über Nase, Gesicht, Kopf und Hals.

Da es schon gelernt hat seinen Kopf "zu geben", lässt es sich das neue Ding ohne jedes Widerstreben überstreifen.

Während Oscar sich mit seinem "Potro" beschäftigt, befassen sich die "alten Hasen" im Kurs mit den anderen Pferden.

Der heute gebräuchliche Ausdruck "desensibilisieren" ist m. E. nach nicht zutreffend. Da verkennt man die Sachlage. "Desensibilisieren" kann man nur bezüglich der Signalwirkung einer Einwirkung.

Hier geschieht etwas ganz anderes: Das Pferd wird überhaupt "empfänglich" für die menschliche Nähe und Berührung! Strenggenommen sensibilisiert man also!

Hier nennt man das "descosquillar" oder "sacarle las cosquillas": Die Kitzligkeit nehmen. Das ist viel treffender! Man nimmt dem Pferd die "Über-empfindlichkeit"; das was es eben nicht mehr (noch nicht) empfinden kann, wird als Empfindungsmöglichkeit gerade dazugewonnen!


Autisten und Wildpferde


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Lanze und "Boleadoras" des kriegerischen Indio. Die Boleadoras sind sowohl Waffe wie Jagdwerkzeug: Geschickt geschleudert schlingen sich die Stricke durch die Zentrifugalkraft der Kugeln um die Beine des Wilds, das darauf zu Fall kommt.
Es gibt dazu übrigens eine hochinteressante Parallele aus dem Erleben autistischer Menschen. Diese geht so weit, dass die nordamerikanische Autistin Dr. Temple Grandin gerade den Vergleich mit dem Erstkontakt beim Pferdezähmen heranzieht, um die autistische Situation der Überempfindlichkeit zu beschreiben; und den zuletzt heilsamen Effekt des "Festhaltens" auf Psyche und Wahrnehmung.

Dr. Temple Grandin hat als Konstrukteurin für Anlagen der Nutztierhaltung z.B. eine spezielle Quetschmaschine - "squeeze machine" - entwickelt, wo die Tiere selbst lernen, die zunächst gefürchtete Enge - das Gefangensein - neu und positiv - als Gehaltensein - zu erleben!

Der Autist befindet sich anfangs in einem echten Empfindungsdilemma: Er will und will nicht "Gehaltensein".

Eine weitere interessante Beobachtung, die dort erwähnt wird: Der sanfte, beidseitige Druck in Form eines gepolsterten V - analog dem aufsitzenden Reiter - wirkt offenbar auf Säugetiere generell entspannend!

(Originaltext: » http://www.autism.org/temple/visual.html; die deutsche Übersetzung ist leider inzwischen verschwunden: die URL www.autismus-news.de wurde offenbar aufgegeben und ist von einem Sex-Unternehmen gekapert worden)

Soweit die Annäherung in der "Manga". Im nächsten Teil ( Wohltäter des Pferdes) werden wir dann sehen, wie es außerhalb der "Manga" weitergeht.



Quellen


  1. http://www.martinhardoy.com.ar www.martinhardoy.com.ar
  2. » www.justacriollo.com
  3.  Lyons: Pferdetraining ohne Zwang
  4. » Dr. Temple Grandin
  5.  Wohltäter des Pferdes, Hauptartikel
  6. Mariano Grondona: Recuerdos al lomo de un bagual in der Rubrik "Rincón gaucho" der LA NACIÓN; sábado 6 de enero 2001, sección 5, página 6
  7. Pat Parelli: Natural Horsemanship
  8. Monty Roberts: Der mit den Pferden spricht, Seite 59f
  9. Sadko G. Solinski: Gymnasium des Freizeitpferdes, 2. Aufl. 1996, Seite 39 - 41
  10. Urs Ochsenbein, Der neue Weg der Hundeausbildung, 5. Aufl. 1993, Seite 46f
  11. Horst Stern: So verdient man sich die Sporen, 18. aktualisierte Aufl. 1997



Abbildungen

©   Norbert Balk, Argentinien


Leserresonanz


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2 Leserresonanzen zu Ausgabe 234 vom 21.09.03


Leserbrief  1083 zu Ausgabe  234
 
Kommentar zu Seite  /Tipp/234/


10.10.2003 10:06:27

Sozial Integrativer Bewegungsstall

Sie sprechen mir aus der Seele!!!!!
Zuviele Pferde leben noch in Boxen, langeweile, kein Sozialleben etc.
Herdenhaltung ist nicht gleich Herdenhaltung. SIB gleicht Hirachie aus, sorgt für Beschäftigungs- und Bewegungasanreiz, Futter ad libito ......
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Leserbrief  1054 zu Ausgabe <